HITZE

Aus diesen Sommern



Peter Frömmig
Einmal, in einem jener allzu heißen Sommer, kroch die Katze unters Sofa und kam nicht mehr hervor. Eingezwängt in den schmalen Zwischenraum zwischen Sofaunterseite und Fußboden, lag sie im hintersten Winkel, gegen die Wand gedrängt. Das konnte man einigermaßen erkennen, wenn man auf die Knie ging und sich bückte.
Wir dachten: Nun hat sie genug, nun will sie sterben. So ließen wir sie. Und wir überlegten, wie viele ihrer sieben Katzenleben sie vielleicht schon verbraucht, abgelebt haben könnte. Es dauerte eine Nacht und einen Tag, sie tauchte nicht mehr auf. Die mörderische Hitze hielt an und machte die nach außen hin abgeschirmte Dachwohnung enger und enger. Kein Sonnenstrahl sollte mehr eindringen, doch die Hitze sickerte dennoch durch die Mauern. Die kleinste Bewegung verursachte Schweiß auf der Haut.
Unsere Katze zeigte sich nicht mehr, sie blieb weiter unter dem Sofa verborgen. Mit der Taschenlampe leuchteten wir in das Dunkel - da sahen wir sie deutlich liegen, zusammengerollt, weit nach hinten, im äußersten Winkel. Ob sie noch atmete? Wir meinten zu erkennen, dass sich ihr Fell hob und senkte, ein ganz langsames und flaches Atmen, aber dennoch wahrnehmbar.
Das Tierchen war allmählich in die Jahre gekommen, fast unbemerkt. Erst wenn etwas an der Zeit ist, stellen wir so etwas gewöhnlich fest, aber meist eher verspätet. Es schien nicht lange her zu sein, da war sie noch über einen Meter hoch gesprungen, wenn ich ihr das Tischtennisbällchen zuwarf. Sie fing es sicher mit beiden Vorderpfoten, wie ein Fußballtorwart den Ball mit sicheren Händen. Ein Spiel, das wir beide mochten und fleißig betrieben hatten. Sie erinnerte mich dabei an einen bestimmten Tormann in unserem Heimatverein, der mich als Bub sehr beeindruckt hatte, wie er die Bälle im Flug abfing. Er wurde „Die Katze“ genannt, war Tscheche und taubstumm, so sagte man, und er trug immer ein schwarzes Trikot.
Nach einiger Zeit tauchte unsere Katze endlich wieder auf, zu später Stunde, wir hatten alle Fenster aufgerissen und frische Luft drang allmählich herein, ein fast kühler Zug. Sie stand noch etwas taumelig vor uns, schaute sich um, nach links und nach rechts, und danach blickte sie uns an mit einem Blick, der auf einen erwachenden Hunger schließen ließ. Wir waren erleichtert, als die Katze ihren Futternapf aufsuchte und ausgiebig fraß. Danach leckte sie sich erst die Schnauze, dann auch das gesamte Fell in katzengemäßer Gründlichkeit. Als sie damit fertig war, ließ sie sich - mit einem Plumps! - erschöpft zur Seite fallen und schlief sofort ein. Voll Vertrauen zeigte sie uns ihr weißes Bauchfell mit den rosa Nippeln. Sie regte sich nicht, als ich behutsam meine Hand auf ihren Bauch legte, die einzelnen Rippen spürte, das weiche Pochen des Herzschlags darunter, die Körperwärme.
Mit der Dunkelheit kam ein lauer, rieselnder Regen über uns, begleitet von einem lang ersehnten frischen Lüftchen. Nach Tagen begann das Fell der Katze wieder Glanz anzunehmen, so auch ihre Augen, und ihre vertrauten Laute waren wieder zu hören. Wenn ich sie bürstete und danach ihr das Köpfchen streichelte, schaute sie mich mit diesem seltsam weisen, wissenden Blick an – auf so eine unverwandte, unausweichliche Art. Was wollte sie mir sagen? Ich hätte gerne einmal gewusst, was in ihr vorging, doch vergebens versuchte ich immer wieder, mich in ihr Wesen hineinzuversetzen. Manchmal meinte ich, dem ganz nahe zu sein, doch schon war dieser Augenblick wieder verflogen.
Diesen einen Hitzesommer hat unsere Katze noch überstanden, aber die beiden anderen, noch schlimmeren, die folgten, überlebte sie nicht mehr. Wir hatten so sehr gehofft, ihr inniglich gewünscht, sie würde einfach irgendwann friedlich dahindämmern, in den ewigen Schlaf hinüber. Doch diese Gnade war ihr nicht gewährt. Es folgte noch ein langer, langer, beschwerlicher Weg bis zu ihrem Ende.