Über sprachliche Gleichstellung



Von Hartmut Löffel
Ach, lieber Leser, wie schwierig ist es doch heute, dich so anzusprechen, vertraulich mit dir zu plaudern, dich fürs Erzählte zu gewinnen und deine Meinung zu erraten. Immer sollen andere dabei sein: entweder eine Leserin – oder Leser und Leserinnen, geneigte Lesende möglichst oder, narrensicher gesagt, die liebe Leserschaft. Warum denn so viele? Könnten wir nicht auch weiterhin einmal ganz allein sein? Und nur der biologischen Gerechtigkeit wegen nicht mehr? Was denkst denn du darüber? Mir jedenfalls stockt schreibend immer wieder der Atem, und ich frage mich und dich überdies, ob diese sperrigen Doppelungen wirklich eine neue Denkweise verkörpern und die Frau aus ihrem jahrtausendealten Joch befreien. Andererseits ertappe ich mich grübelnd, ob in der besagten „Leserschaft“ die Leserinnen wirklich enthalten sind, und ich fürchte, dass es demnächst noch zu Leser- und Leserinnenbriefen kommt. Also, mein lieber Leser – ob nun weiblich oder männlich –, sehen wir uns einmal zusammen die Schöpfungsgeschichte an, den Anfang aller Zurücksetzung. Zurück also zu Adam und Eva oder, höflicher gesagt, zu Eva und Adam. Einverstanden?
Merkwürdigerweise gibt es nicht nur eine einzige Schöpfungsgeschichte, sondern im ersten Buch Mose gleich zwei. Das verblüfft. Denn sie unterscheiden sich, und was unser Augenmerk betrifft, ganz besonders in der Erschaffung des Menschen. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ So heißt es in der neuesten Fassung der Lutherbibel (1. Mose 1, 27). In der ersten Fassung von 1534 sind die beiden zwergenhaft verkleinert: der Mann zu „menlin“, die Frau zu „freulin“ (geschrieben „frewlin“), wahrscheinlich angesichts der angenommenen Größe des Schöpfers. In der heutigen katholischen Einheitsbibel lautet diese Stelle etwas anders: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ Und wer ist näher am Urtext? Das ist die eine Frage und die andere, ob die Erstnennung des Männlichen etwas anderes als die übliche Rangfolge widerspiegelt.
Der ausführliche zweite Schöpfungsbericht (1. Mose, 2) steht uns mehr vor Augen, in dem Eva aus einer Rippe Adams geformt wird, der seinerseits nach Luther vorher aus einem „Erdenkloß“ erschaffen wurde. Auch die katholische Einheitsübersetzung führt die Rippe an, doch Adam ist hier aus „Staub vom Erdboden“ entstanden. Aber war es wirklich eine Rippe? Das hebräische Wort „zela“ könnte etwas ganz anderes meinen. Moni Egger weist neuerdings in einem Artikel darauf hin, dass „Seite“ die richtige Übersetzung wäre.* Doch wem hat sich das anschaulichere Bild nicht längst eingeprägt? Wenn im Schwäbischen eine zänkische Frau nichts anderes als „e Ripp“ sein kann, wer wäre ohne Luther und Co draufgekommen? Und auch auf etwas Weiteres nicht. Denn Luthers Folgesatz nach der Erschaffung Evas lautet in der Bibel von 2017 so: „Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, weil sie vom Manne genommen ist.“ (1. Mose, 2, 23). In der Erstfassung von Luther selbst lautet der Anfang ein bisschen anders: „Da sprach der mensch / das ist doch bein von meinen beinen und fleisch von meinem fleisch / man wird sie Mennin heissen“ (…) Der hier nur stoffliche Bezug (mit „das“) drückt nicht gerade Willkommensfreude des Logikers aus. Luther greift nicht mehr sein „menlin“ und „freulin“ der ersten Schöpfungsgeschichte auf. Im Wortstamm seiner „Mennin“ und der Nachsilbe als Anhängsel spiegelt sich jetzt ein Abhängigkeitsverhältnis wider. Auch der Akzent liegt auf dem Mann.
„Wie geht es deiner Männin?“, wäre heute eine kuriose Frage und könnte nur augenzwinkernd gestellt werde. Trotzdem gibt es ohne weiteres eine „Landsmännin“ oder etwa eine „Seemännin“. „Seefrau“ wäre wohl eher eine Nixe. Doch wo es passt, wird heute ausgetauscht. Zum mittelalterlichen Edelmann war schon längst eine „Edelfrau“ oder ein „Edelfräulein“ möglich – warum also jetzt nicht auch zur männlichen Vorgabe eine „Kauffrau“ oder eine „Steuerfrau“ zum Steuermann. Beim Zimmermann wird’s freilich schwierig. Eine „Zimmerfrau“ dürfte die Lösung nicht sein. Alles gut und recht und wünschenswert, doch führt diese verbale Um- und Aufwertung auch zu einer sozialen Gleichstellung? Die Zurücksetzung ist tradierte Praxis – im Schöpfungsbericht ist sie gottgegeben und bei Luther sogar verschärft formuliert. Nach dem Sündenfall (in 1. Mose, 3) verhängt Gott die Strafen. Jene für Eva hört sich in der Erstausgabe von 1534 so an: „Und zum weibe sprach er / Ich wil dir viel schmertzen schaffen wenn du schwanger wirst / du solt mit schmertzen kinder gepern / und dein wille sol deinem man unter worffen sein / und er sol dein Herr sein.“ Steht das aber wirklich im Hebräischen? In der evangelischen Bibel von 2017 findet man diesen gemilderten Passus: „Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.“ Dass der Mann Herr sein soll, steht auch, abgewandelt formuliert, in der katholischen Einheitsübersetzung von 2016: „Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.“
Soweit die Schöpfungsgeschichte mit ihrer strikt patriarchalischen Ordnung. Nur an einer Stelle (1. Mose 3, 20), als Adam seiner Frau den Namen Eva gibt – das heißt hebräisch die „Leben Schenkende“ – und sie als Urmutter sieht, scheint auch ein neuer, anderer Anfang möglich. Doch die Rollen sind bereits verhängnisvoll und eindeutig definiert. Wozu hätte es aber geführt, wenn umgekehrt Adam aus der „Rippe“ Evas hervorgegangen wäre? Warum eigentlich nicht? War die Frau als „Leben Schenkende“ nicht wichtiger? – darin etwa der Gaia in der griechischen Mythologie vergleichbar. Und was hätte dann Luther übersetzt? Vielleicht sein „freulin“ aufgegriffen und den Wortstamm in einen männlichen „freuer“ umgewandelt? Verheißungsvoller jedenfalls wäre es gewesen.
Ja, lieber Leser – ob weiblich, männlich oder ein anderes –, ich spüre, dass du – und „du“ möchte ich noch weiterhin sagen dürfen –, dass du also nicht so ganz mit allem einverstanden bist, da und dort Abstriche machst oder noch mehr löschen möchtest. Selbst wenn ich dich nicht überzeugen oder überreden kann, wie wichtig der Rückblick war, wirst du dem Folgenden zustimmen müssen. Du wirst nicht anders können! Nein, sag jetzt bitte nichts, spitz lieber die Ohren.
Zum „Leser“ also möchten sie die „Leserin“, zum „Käufer“ die „Käuferin“ oder zum „Fahrer“ die „Fahrerin“. Und wie wird etwas weiblich? Durch eine kleine Nachsilbe, ein klitzekleines Anhängsel – an den Mann! Wiederum an den Mann. Und die heutigen Even und Vordenkerinnen merken’s gar nicht. Verwunderlich! Schon deshalb, weil die Sprache bereits weit mehr für sie bereithält. Zum „Wanderer“ etwa gibt es doch längst die „Wanderin“ und nicht, wie es korrekt wäre, eine „Wandererin“. Beim „Stotterer“ ist die „Stotterin“ unverzichtbar! Denn fast jeder Nachrichtensprecher oder jede Nachrichtensprecherin würde sich stotternd verhaspeln, müsste er oder sie „Stottererin“ sagen. Und was sehen wir? Die männliche Silbe ist einfach gestrichen. Wäre das nicht ein Weg? Ich meine, der heutzutage sogar eine „Zimmermännin“, die gar nicht so heißen möchte, aufwertet. Denn es gibt geschichtlich auch den „Zimmerer“ und daraus entstand im Handumdrehen eine „Zimmerin“. Und die ist im Duden bereits angekommen – vielleicht nicht gerade ganz glücklich, denn in Österreich kann sie auch ein „Zimmermädchen“ sein. Trotzdem ein Ausweg! Denn sie zimmert, wie andererseits der Stotterer stottert oder die Wanderin wandert. Die Tätigkeit ist in diesen Beispielen entscheidend. Zurück zum Verb also, und schwuppdiwupp sind beide gleichwertig. Und ohne Eingriff sind sie’s in anderen Fällen schon längst: ein „Lotse“ etwa und eine „Lotsin“, die das Gleiche tun: „lotsen“; oder der „Erbe“ und die „Erbin“, die erben. Ja, mein lieber Leser, du hast wohl längst erraten, wer zu dir gehört. Zurück zum Wortstamm … Und? … noch eine Silbe dazu – Richtig: die „Lesin“! Wie zu „Fahrer“ die „Fahrin“ und zu „Käufer“ die „Käufin“. Daran gewöhnt man sich. Durchaus auch an einen „Fußgänger“ und eine „Fußgängin“, die vielleicht geläufiger „Fußgeher“ und „Fußgehin“ heißen können. Dafür braucht es aber weiterhin hartnäckige Evinnen und schließlich eine grundlegende Reform. Sie könnte billiger sein als der augenblickliche Vorschlag, überall Schilder mit „Fußgänger“ gegen neue mit „Fußgänger und Fußgängerinnen“ auszutauschen. Das soll die Dudenredaktion berechnen.
Ich aber bleibe lieber bei meinem „lieben Leser“. Nicht weil ich schon alt bin und nicht mehr wandlungsfähig – eine kaum mehr haltbare Konserve … Das können die Evas und Evinnen durchaus so sehen, ich aber auch noch etwas anderes: nämlich „der Leser“ ist für mich nicht bloß ein Einzelner, sondern seit jeher auch ein Gefäß für männliche und weibliche Individuen – vor allem für die „Leseratten“, früher meistens Frauen, doch auch ein Mann kann so eine Ratte sein. Und was sind Fußgänger und Autofahrer begrifflich zunächst anderes als solche Sammelbecken? Freilich sind sie grammatisch männlich, doch eine „Aushilfe“, die man sucht, ist grammatisch weiblich, obwohl sie auch Helfer mit einschließt. Wenn also die Evinnen das akzeptieren, wird die nötige Reform etwas preiswerter und ich auch etwas glücklicher sein und mein Leser, der mich jetzt wieder verlässt, kann hochzufrieden davongehen.

* Moni Egger, Fehlübersetzung mit Folgen, Korrekturen zur „biblischen Schöpfungsordnung“, 2016. Im Internet abrufbar.