Steine

Autor:Roger Caillois
Erscheinungsjahr:1983
Genre:Essayband
Verlag:Hanser Verlag


Gelesen von Katrin Züger
Sie interessieren, weil sie vom Beginn des Planeten stammen, manchmal von einem anderen Stern. Weil sie die Geschichte der Erde zum Leben erwecken und diejenige des Menschen relativieren. Weil sie älter sind als das Leben, hartnäckiger, dem Menschen und der Zeit widerstehen, sich zwar klein-, aber nicht unterkriegen lassen, schon deshalb unsere Ehrfurcht und Ehrerbietung verdienen. Der Mensch, wenn er sich ihrer bewusst wird, beneidet sie um ihre Dauerhaftigkeit, ihre Härte, ihren Starrsinn, ihren Glanz, ihre Glätte, ihre Undurchdringlichkeit, weil sie sogar als zerbrochene noch ganz sind. Sie verweisen auf das scheinbar Gewöhnliche, Alltägliche, Kleine und Unbedeutende, obwohl es doch das Grösste und Älteste ist, älter als die Geschichte der Menschen und Mythologien. Nichts wird sie je verändern, ausser die Gewalt tektonischen Wütens und die allmähliche Abnutzung durch die Zeit. Sie überdauern das Leben, sind sich des Todes nicht gewärtig und haben nichts weiter zu tun, als sich Sand, Platzregen oder Brandung, Unwetter und Zeit übers Gesicht rieseln zu lassen.
Steine wie Girlanden, Nervengeflecht, Astwerk, Palmen, Farne, Moose, Medusen, Landschaften. Dendriten aus Mangan auf Sandstein, manchmal Achat, ausnahmsweise Quarz, breiten das Spitzengewebe ihres Laubwerks, das Haar ihrer Nerven in ihnen aus. Die Farben von Ziegelrot über alle Schattierungen des Ockers bis Schwarz. Im Honig oder in der blauen Milch des Achats skizzieren sie Landschaften: Hügel, Täler, Schluchten, von Tannen bestanden, zu erkennen an den zugespitzten Umrissen und den niederen, ein wenig aufwärts gebogenen Ästen, durch die Entfernung winzig gemacht.
Der Achat. Lehnt sich entschieden gegen die geringste Monotonie auf. Achatknollen. Graue, runzlige, eher abstossende Kugeln. Man muss sie zerbrechen, um der innewohnenden Schauspiele habhaft zu werden. Meist nur trübe, wenig durchscheinende Materie, die sich kaum vom erstbesten Feuerstein unterscheidet, manchmal aber launige Zeichnungen, parallele Adern, seltener mineralische Girlanden, Zacken von Spitzengewebe, explodierende Chrysanthemen, reglose Feuerwerkskünste in versteinerter Nacht, leuchtende Fenster von der Farbe der Alpenveilchen oder wilden Rosen, Tapeten und Vorhänge, die mitten im Stein an unsichtbaren Haken befestigt sind und deren Falten feierlich herabwallen.
Der Pyrit. Mein Liebling. Einer davon. Neben Turmalin, Hämatit, Magnetit. Obwohl er doch so häufig ist. Weil er auch wunderschön ist. Ein Kunstwerk der Natur, mit zauberhaftem Leuchten, Glänzen und Glimmern, je nachdem, wie man ihn ins Licht hält. Auch Schwefelkies, Katzengold (nicht von «Katze», sondern von «Ketzer»), Narrengold oder, wissenschaftlich korrekt, Eisen(II)-disulfid geheissen. Für feste Körper gilt, im Gegensatz zu Gasen, dass sie ihre Masse vollständig einnehmen und sich nicht durchdringen. Wie der in eine Planke eingeschlagene Nagel, der das Holz spaltet und sich einen Weg bahnt. Gilt das auch für den Pyrit? Es kommt vor, dass ein Polyeder in einen andern verschachtelt und von ihm aufgehoben wird, man erkennt ihn einzig an zwei seiner Ecken. Manchmal stecken Kuben schräg und nur ein Stückchen ineinander, jeder hat nur einen seiner Winkel eingebüsst, sodass der Anschein entsteht, man könnte sie ohne grosse Mühe voneinander loshaken. Jeder Verband wechselseitig sich durchdringender Kristalle verkündet das organische Gesetz der mineralischen Welt.
Ein Klumpen Kupfer, scheint sich vor Stolz zu blähen und gibt zu verstehen, dass er einst einer schrecklichen Weissglut ausgeliefert war, darauf am Grund stehenden Wassers zu endlosem Erkalten sich selbst überlassen fand, wo eine langsame Chemie ihn mit polychromer Patina überzog. Es dominiert das Grün, der nahezu vollständige Fächer der Grüntöne, von denen dennoch jedes sein Anderssein hervorhebt: hier das glänzende, fast schwarze Grün von Moosen nach dem Regen, dort das von Karbonaten, von Sulfiten angegriffene Samtgrün vergrabener Münzen, häufig trübe Blaus, die ins Grün hinüberspielen, die der Türkise, der Aquamarine und anderer blauer Steine ohne genauen Farbwert, im Grenzfall das zittrige, zögernde Grün sehr junger Mandeln, deren Flaum noch silbrig ist.
Steine sind nichts weniger als belanglos.